Im Radio lief heute mittag ein sehr guter Kommentar dazu, der meine Meinung dazu auf den Punkt trifft:
Enkes Totenfeier - ein Trauerspiel
Mit einer der größten Trauerfeiern in der Geschichte der Bundesrepublik haben gestern Zehntausende in Hannover Abschied vom verstorbenen Nationaltorwart Robert Enke genommen. Im Stadion von Hannover 96 gedachten mehr als 35.000 Trauergäste des 32-Jährigen, der sich am vergangenen Dienstag das Leben genommen hatte.
5,35 Millionen Menschen sahen die Fernseh-Übertragung der Trauerfeier im Ersten. Das entspricht einem Marktanteil von 38 Prozent. Zeitgleich übertrugen auch NDR, DSF, N24 und n-tv.
Über die Toten soll man schweigen, es sei denn, man habe Gutes zu sagen. Aber über die Trauerhysterie rund um den Sarg des Torhüters Robert Enke darf man wohl reden, denn das, was da aus dem Ruder gelaufen ist, das war am Ende nur grotesk und abstoßend. Es wurde doch in Wahrheit gar nicht um einen unglücklichen Fußballer getrauert, nein, die Gemeinde feierte sich schamlos selbst: Seht mal, wie toll wir trauern, seht mal, welch gute Menschen wir sind, seht mal, wie nah wir unserem Fußballpromi stehen: Wir sind das Trauervolk. Enke, die deutsche Diana. Er war einer von uns. Und jetzt gehört er uns.
Mit den grausamen Umständen des Selbstmords auf dem Bahndamm brach eine Welle los, angetrieben von der geschäftigen Sensationspresse, überschwappend in sämtliche Massenmedien, mit Direktübertragungen von Trauerandacht und Trauermarsch, mit den rührseligen Bildern vom obligaten Kerzenaufstellen, Blumen- und Stofftierniederlegen und „Warum?“-Schildschreiben. Und dann war da das Neue, das alle Dämme brechen ließ: Die Pressekonferenz der Witwe, als die Leiche noch nicht kalt war. Sie deckte das Geheimnis des toten Mannes auf, das er mit ins Grab nehmen wollte, sie erklärte den Selbstmord mit seiner Depression, wollte wohl die Ehre retten. Hart war das an der Grenze der leichenfleddernden Indiskretion, war aber nicht falsch; das Motiv war redlich, die Haltung der Frau über jeden Zweifel erhaben. Aber Frau Enke hatte die Rechnung ohne die Geilheit der Indiskretins gemacht, die jetzt erst recht den Toten beschlagnahmten und ihn öffentlich sezierten. Enke wurde das wehrlose Opfer der Menge, vor der er in den Tod geflohen war.
Tragischer noch als der Tod war die Trauerinszenierung, der sich keiner mehr entziehen konnte, der in Fußballdeutschland nicht die lebenslange Sperre riskieren wollte. Die größte Nationaltrauer seit Konrad Adenauer sei das gewesen, sagt man. Wo sind wir denn?! Werden die Maßstäbe der Gesellschaft neuerdings in den Südkurven gesetzt? Die Bilder gestern vom Stadion mit dem Sarg in der Mitte auf dem Anstoßpunkt, die hatten bei aller suggestiven Kraft der emotionalen Großinszenierung auch eine unheimliche Geschmacklosigkeit; es war zu viel, zu groß, die Maßstäbe stimmten nicht, hier imitierte das Kleinbürgertum den Heimgang der Herrscher; hier zeigte sich, was dabei herauskommt, wenn man das Wort vom König Fußball ernst nimmt und sich nicht scheut, vom Fußballgott und Fußballgöttern zu blasphemisieren.
Die makabre Peinlichkeit hätte einen Hauch von wahrer Würde gewinnen können, wenn man im Anblick des Sarges auch davon gesprochen hätte, dass dort kein Märtyrer und kein Held liegt, sondern ein unglückseliger Mann, der für seine kleine Adoptivtochter nicht mehr da ist, der sich nicht mehr um das Dutzend Hunde kümmert, die er aus Tierliebe bei sich aufgenommen hatte, der seine Frau mit all dem allein lässt und einem unglücklichen Lokomotivführer ein lebenslanges Trauma beschert hat – vielleicht sogar die Depressionen, von denen soviel geredet wurde.
Es war ein Trauerspiel um Robert Enke. Noch wird es etwas dauern, aber dann ruht er in Frieden. Wenigstens er.
Quelle:
http://www.wdr.de/radio/wdr4/wort/zur_sache/index.html